In High Heels haben wir eine Fahrradrevolution angezettelt!
Die Fahrradenthusiastin und Initiatorin der weltweiten Bewegung „Fancy Women Bike Ride“ Pinar Pinzuti im Interview
Fahrradheld:innen
Pinar Pinzuti bringt mit ihren Mitstreiterinnen der Bewegung „Fancy Women Bike Ride“ weltweit am dritten Sonntag im September Frauen aufs Rad. Grund genug, ihr den Titel JobRad®-Fahrradheldin zu verleihen. Ein Interview über Freiheit auf dem Rad, autofreie Städte und Männer, die strahlend um Konferenztische radeln.
Der „Fancy Women Bike Ride“ gilt als eine der erfolgreichsten Radbewegungen der Welt. Sie sind eine der Initiatorinnen. Wie hat alles angefangen?
Das war 2013 in Izmir, wo ich damals lebte. Meine Nachbarin Sema Gür hatte mit 39 Jahren gelernt, Rad zu fahren. Denn sie wollte endlich mit ihren Freundinnen am Wochenende Ausflüge machen. Sie war begeistert, weil ihr das Fahrrad so viel Unabhängigkeit und Freiheit brachte. Doch sie war auch sehr verwundert, dass damals nur Männer am Wochenende in engen Sportklamotten um die Wette radelten. Wir wollten eine andere Fahrradkultur, wir wollten das Fahrradfahren normalisieren. Das war eine Revolution in der Türkei.
Eine Fahrradrevolution?
Ja! Vor zehn Jahren hat in der Türkei niemand das Fahrrad im Alltag genutzt. Frauen schon gar nicht. Sema und ich hatten also die Idee zum ersten „Fancy Women Bike Ride“. Wir stellten Regeln auf: Wir fahren so langsam wie möglich, lachen, winken und genießen das Radfahren. Wir wollten damit auch zeigen: Wenn wir an einem Sonntag in bunten, flatternden Sommerkleidern und in High Heels radeln können, dann geht das erst recht im Alltag in Jeans und Turnschuhen.
Was wollen Sie mit dem „Fancy Women Bike Ride“ erreichen?
Unser Ziel ist es, so viele Frauen wie möglich aufs Fahrrad zu bringen, den Radfahren heißt: Freiheit und Selbstbestimmung. Wir wollen vor allem die Frauen erreichen, die nicht Fahrrad fahren können oder es seit ihrer Kindheit nicht mehr gemacht haben. An jedem dritten Sonntag im September radeln wir solidarisch auch für all jene Frauen, etwa in Saudi-Arabien oder in Iran, die nicht Fahrrad fahren dürfen. Und wir zeigen den Politikerinnen und Politikern bei unserer Radausfahrt: „Wir sind viele!“ Wir wollen, dass wir uns wieder auf unseren Straßen wohlfühlen, nicht die Autos.
Wer radelt beim „Fancy Women Bike Ride“ mit?
Alle Frauen sind willkommen, egal wie alt sie sind, welcher gesellschaftlichen Schicht sie angehören oder an was sie glauben. Wir gehören keiner politischen Partei an und wollen von niemandem instrumentalisiert werden. Übrigens: Auch Männer dürfen mitradeln, wenn sie sich schick machen und sich wie Gentlemen verhalten.
Der „Fancy Women Bike Ride“ findet nun seit mehr als zehn Jahren weltweit statt. Was ist Ihr größter Erfolg?
Inzwischen finden in 30 Ländern und über 200 Städten unsere Rad-Demos statt – von Mexico-City über Kochi (Indien) bis Auckland (Neuseeland). Sema und ich bekommen danach so viele Nachrichten von Frauen, die sagen, dass sie Fahrradfahren gelernt haben, weil sie beim „Fancy Women Bike Ride“ dabei sein wollten. Das ist doch toll! Und das Beste: Viele dieser Frauen werben dann in ihrer Nachbarschaft oder in ihrem Kiez für den „Fancy Women Bike Ride“ und tragen somit die Idee immer weiter.
Sie widmen sich ja auch hauptberuflich dem Thema Fahrrad. Bei Bikenomist, einer Mailänder Beratungsfirma pro Rad, tragen Sie den Titel „Cycling Brainwasher“. Wie werden Sie diesem gerecht?
Zum Beispiel, wenn ich mit meinem zusammengeklappten Faltrad in ein Meeting komme. Dort sitzen dann meist Leute in Anzügen und schicken Kostümen. Dann werde ich gefragt: „Was ist das?“ „Ein Fahrrad!“, sage ich und falte es auf. Wenn sich dann erwachsene Menschen – meist Männer – das Rad schnappen und mit einem breiten Grinsen um den Konferenztisch radeln und sagen: „Wow, ich habe ganz vergessen, wie toll sich Radfahren anfühlt“, dann habe ich meine Mission erfüllt und bin meinem Titel „Cycling Brainwasher“ gerecht geworden.
Welches ist Ihre Lieblingsfahrradstadt?
Schwierige Frage: Aber mir ist gleich Valencia in den Sinn gekommen. Die spanische Stadt will bis zum Jahr 2025 emissionsfrei werden. Der Mobility-Manager, der dort seit einigen Jahren im Amt ist, hat am Anfang seiner Amtszeit gesagt: „Lasst uns die Autos loswerden und Fußgängerzonen schaffen. Und dort, wo noch Pkw fahren, ein Tempolimit einführen“. Mit dem Ergebnis: Die Menschen sind unglaublich stolz auf ihre Stadt, das erlebe ich immer wieder in Valencia. Und die Touristen radeln mit großer Freude auf den Leihrädern, weil die Stadt so fahrradfreundlich ist.
Was würden Sie tun, wenn Sie Verkehrsministerin wären – in Ihrer Wahlheimat Italien, Ihrem Geburtsland Türkei oder in Deutschland, wo Sie studiert haben?
Autofreie Sonntage einführen. Damit würde ich den Kindern die Stadt zurückgeben. Und wenn sie sich einmal daran gewöhnt hätten, endlich auf den Straßen zu spielen, würden sie zu ihren Eltern gehen und sagen: „Macht, dass alle Tage autofrei sind.“
Wer ist Ihre Fahrradheldin oder Ihr Fahrradheld?
Für mich sind alle Frauen, die sich weltweit jeden Tag mit ihrem Fahrrad durch den Verkehr kämpfen, Fahrradheldinnen. Die meisten Städte sind leider für Autos gemacht, nicht für Menschen. Für Radlerinnen und Radler ist der urbane Raum häufig gefährlich. Deshalb kämpfen wir für lebenswerte Städte mit sicherer Fahrradinfrastruktur und Tempo 30.
Ihr ganzes Leben dreht sich ums Fahrradfahren. Sie besitzen wahrscheinlich mehr als nur ein Fahrrad...
Ich habe sie gerade nochmal gezählt. Es sind sieben. Und ich brauche sie alle, denn jedes kann etwas anderes. Ich nutze mein Faltrad, wenn ich intermodal unterwegs bin, also mit Zug und Rad, ich habe ein Gravelbike, mit dem ich gerade durch Norwegen geradelt bin, ein Trekking-Rad und ein Tourenrad, ein City-Bike mit einem großen Korb für Einkäufe und zwei Rennräder – eins davon ist ein Vintage-Klassiker.
Mach auch du mit! Mach dich schick, steig auf und radel mit!
„Fancy Women Bike Rides“ finden inzwischen auch in vielen deutschen Städten statt. Schick machen, mitradeln und Spaß haben! Mehr Infos unter:
JobRad® spendet für jedes Fahrradheldinnen-Interview 500 Euro an eine Nichtregierungsorganisation, die sich dafür einsetzt, Menschen aufs Fahrrad zu bringen. Das Geld für dieses Interview geht auf Wunsch unserer Fahrradheldin Pinar Pinzuti an Bike Bridge.